Warum ein Kongress und wie es dazu kam
+++ Im folgenden Text werden Begriffe in Bezug auf sexualisierte Gewalt benutzt, die eine triggernde Wirkung haben können +++
Den Anstoß zu der Idee eines Kongresses mit dem Themenschwerpunkt „Sexualisierte Gewalt“ lieferte uns die öffentliche Vergewaltigung einer jungen Frau in Neu-Delhi, welche daraufhin an den ihr zugefügten Verletzungen verstarb. Die auf diesen Fall folgenden Massendemonstrationen in Indien trafen weltweit auf großes mediales Interesse. Die in Deutschland sehr projektiv geführte Debatte über vermeintlich „rückständige“ und damit für sexualisierte Gewalt angeblich anfälligere Gesellschaftsformen oder das lediglich zur Kenntnis nehmen in der Öffentlichkeit sowie das überwiegende Schweigen der radikalen Linken zu diesem Vorfall führten bei uns sowohl zu Fragen als auch zu Verärgerung.
Zeitgleich verweigert in Köln ein katholisches Krankenhaus einer Frau nach einer Vergewaltigung die Pille danach, ein alternder Politiker reduziert eine junge Journalistin auf ihren Körper, um nur einige „Highlights“ unter den Vorfällen zu nennen.
Während sich anhand dieser Vorfälle wieder ein Diskurs über Sexismus und sexualisierte Gewalt entspinnt, in dem die betroffene Frau1 als überempfindlich dargestellt wird und im Rekurs auf klassische Geschlechterrollen die „Waffen der Frauen“ (nämlich ihre Schönheit und ihr Körper) von pseudofeministischen Positionen gelobt werden, findet eine starke Relativierung von alltäglichen Sexismen und sexualisierter Gewalt statt, auch indem auf die „Zustände“ in Indien verwiesen wird.
Schnell wurde uns in Diskussionen klar, dass eine Demonstration leicht in ebendiese Falle tappen kann und nur wenig Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten vermag. Eine notwendige Analyse und Kritik der Gesellschaft, in der solche Übergriffe und Diskurse möglich sind, benötigt aber mehr!
Eine breite, kritische Auseinandersetzung mit sowohl heteronormativen Geschlechterrollen als auch den gesellschaftlichen Bedingungen, die diese hervorbringen und täglich auch gewaltförmig reproduzieren ist notwendig. Wir wollen mit dem Kongress einen Rahmen schaffen, in dem dieses möglich ist.
Wer sind „wir“ eigentlich?
Wir sind Feministinnen aus unterschiedlichen linksradikalen politischen Zusammenhängen, die sich mit dem Projekt Flora verbunden fühlen. Daher haben wir auch die Flora als Veranstaltungsort gewählt. Denn unserer Meinung nach ist es mal wieder an der Zeit, die Auseinandersetzung um feministische Themen im und über das Projekt hinaus aufzugreifen, auf die Tagesordnung zu setzen und breit zu diskutieren.
Richtung des Kongress’
Wir verstehen Geschlecht als soziale Kategorie, die sich wirkmächtig in unserem Alltag zeigt.
Die Zuordung zu einer der zwei Geschlechterkategorien spiegelt bereits die Gewaltförmigkeit wieder, mit der wir in traditionelle Geschlechterverhältnisse gepresst werden. Die heterosexistisch hergestellte Norm führt dazu, dass leider primär als Frauen gelesene Menschen, oder jene, die sich nicht innerhalb der binären Geschlechterkonstruktionen verorten, von sexualisierter Gewalt betroffen sind.
Auf dem Kongress vom 12-14.Juli wollen wir verschiedene Aspekte sexualisierter Gewalt in gesellschaftlichen Kontexten untersuchen.
Los geht’s am Freitag den 12. Juli mit einem Einführungsvortrag in die Thematik und damit verknüpften Theorieansätzen.
Der Samstag wird sich schwerpunktmäßig mit der Analyse historischer und aktueller Verhältnisse, dem „Ist-Zustand“ in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen befassen. Anhand von Vorträgen wollen wir eine Kritik an der Reproduktion von Heterosexismus und sexualisierter Gewalt innerhalb verschiedener Institutionen der Gesellschaft schärfen. Hier sollen exemplarisch die Themenbereiche Kirche, Justiz, Medien und häusliche Gewalt bearbeitet werden.
Am Sonntag wollen wir uns thematisch hauptsächlich auf eine mögliche Perspektive einer von sexualisierter Gewalt befreiten Gesellschaft konzentrieren. Dieses soll vor allem in Workshops erarbeitet werden. Des weiteren wird es auch einen Themenblock zur Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt innerhalb der radikalen emanzipatorischen Linken geben. Hierbei soll nicht die Defma-Debatte à la „wie definiere ich Definitionsmacht richtig?“ neu entfacht werden, sondern viel mehr ein konstruktiver Umgang mit persönlichen Grenzen und Konzepten zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt gefunden werden.
Morgens gibt es zusätzlich die Möglichkeit, in einem Kampfsportworkshop zu lernen, sich gegen die Verhältnisse und die, die sie ausüben, zur Wehr zu setzen.
Der Kongress ist offen für alle, die sich mit feministischer Praxis solidarisch zeigen und auch vor Theoriearbeit nicht zurückschrecken!
Wir sind gespannt und freuen uns auf anregende Diskussionen und ein ereignisreiches Wochenende!
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1Uns ist klar, dass wir mit der expliziten Benennung von “Frauen“ als Betroffene von sexualisierter Gewalt auf mehreren Ebenen, vorhandene sexistische Stereotype bedienen: Zum einen rekurrieren wir auf eine gesellschaftliche Konstruktion von Geschlecht, die Menschen in binär sich ausschließende vermeintlich natürliche Geschlechterkategorien zwängt und zum anderen wird außer acht gelassen, das auch und insbesondere Menschen die sich nicht in heteronormativen Strukturen verorten häufig Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Hier beziehen wir uns aber auf den in den deutschen Medien verhandelten “Fall“ von Rainer Brüderle indem die Betroffene sich selbst als “Frau“ bezeichnet.